Das Klinikum Wahrendorff und die Currywurst

PCH-Mitglieder vor Ort

Wer hat eigentlich die Frage nach Erdogans Treiben gestellt? Egal. Wichtiger ist die spontane Antwort von Dr. Matthias Wilkening und Prof. Dr. Marc Ziegenbein, beide für die Leitung des psychiatrischen Klinikums Wahrendorff verantwortlich: „Über Patienten reden wir nicht!“ Damit ist der Maßstab für den Abend gesetzt: Es darf gelacht werden. Kein Thema ist tabu. Hier stehen zwei Herren Rede und Antwort, die mit schwierigen Themen umgehen können.

Das 1862 gegründete Klinikum Wahrendorff hat eine bewegte Geschichte, an der sich die Entwicklung der Psychiatrie in Deutschland ablesen lässt. Noch 1993, als der Anästhesist, Psychiater und Neurologe Dr. Matthias Wilkening das kurz vor der Insolvenz stehende Unternehmen übernahm, waren 24 Patienten in einem Saal untergebracht. Die Einrichtung war die günstigste weit und breit. „Unter diesen Umständen konnte man nur satt, warm und trocken anbieten“, resümiert der Inhaber die damalige Situation.

Heute ist das Klinikum Wahrendorff Europas größte psychiatrische Klinik in privater Trägerschaft mit 290 Krankenhausbetten und rund 300 teilstationären Plätzen. Im Heimbereich finden über 1000 Bewohner Versorgung. In mehr als 60 Gebäuden ist das Klinikum in Ilten, Köthenwald, Lehrte, Sehnde, Celle, Hannover, Laatzen und Rethen tätig. Ob Männer-Tagesklinik, transkulturelle Psychiatrie, seelische Gesundheit im Alter oder Traumabehandlung, das Angebot der Einrichtungen ist umfassend: „Wir behandeln hier alles, was die Psychiatrie zu bieten hat“, konstatiert Prof. Marc Ziegenbein, ärztlicher Leiter des Klinikums.

Für diesen Clubabend am 14. März 2017 hatte Presse-Club-Mitglied Matthias Wilkening nach Ilten eingeladen: In das „Rudolfs Inn“, den vermutlich einzigen Whisky- und Zigarren-Club einer psychiatrischen Klinik überhaupt. Hier tischt seit vielen Jahren das tunesische Ehepaar Samara für Mitglieder und Gäste des Whisky-Clubs feinste kulinarische Genüsse auf. Auch die anwesenden Mitglieder des Presse Club Hannover gerieten vom ersten Bissen bis zum köstlichen Dessert ins Schwärmen.

Zwischen den Gängen stellten sich die Herren Wilkening und Ziegenbein den vielfältigen Fragen der Presse-Club-Mitglieder. So erfuhr man, dass für Dr. Matthias Wilkening „Eigenverantwortung und Selbstbestimmung“ die wesentlichen Antriebsfaktoren für sein Handeln darstellen und die Bevorteilung freier gemeinnütziger Einrichtungsträger gegenüber privat-gewerblichen Trägern sein Gemüt leicht erhitzen kann. Prof. Marc Ziegenbein gab Einblicke hinter die Kulissen in Form von Zahlen, für die dem Laien die Intuition fehlt: Weniger als 5% Zwangseinweisungen, unter 10% chronifizierende Krankheitsverläufe (laienhaft als „unheilbar“ bezeichnet), leicht mehr weibliche Patienten als männliche, „was aber nicht überraschend ist, weil Frauen besser auf sich achten und Männer sich lange nicht eingestehen, dass sie Hilfe brauchen“, so der ärztliche Leiter.

Die Frage, ob psychische Krankheiten heute häufiger seien als früher, beantwortet Prof. Dr. Ziegenbein mit einem kritischen Blick auf die zunehmend belastende Arbeitssituationen: Immer höhere Geschwindigkeiten, häufige Wechsel, 24/7-Vernetzung und ständig neue und zusätzliche Anforderungen beanspruchen die Menschen immer öfter bis zum Äußersten. Gesellschaftliche Entwicklungen wie Vereinzelung, Verlust der kommunikativen Kompetenzen sowie eines allgemeingültigen Wertesystems verstärken diese Effekte. Seine Forderung für die Zukunft ist deutlich: „Prävention wäre hier wichtig. Oft hätte man ein halbes Jahr, bevor der Mensch hier ankommt, noch wichtige Weichen stellen können.“

Hausherr Dr. Matthias Wilkening wünscht sich für die Zukunft eine mehr am Bedarf orientierte Finanzierung: „Im Krankenhaus wird zu Jahresbeginn mit den Kostenträgern das Budget vereinbart, das für dieses Jahr zur Verfügung steht. Stellen Sie sich das mal für einen Currywurst-Verkäufer vor: 100 Leute wollen eine Wurst, er kann aber nur 50 verkaufen, weil er das so vorher festlegen musste …!“

Bericht: Nikola Meyerhoff
Fotos: Dr. Georges Schwanenberg