Medienkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation. David Salim, Gründer von MyGatekeeper, warb bei der Junioren-Veranstaltungen des PCH am 11. April 2019 nachdrücklich für eine digital aufgeklärte Lebensweise bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sein Themenangebot hatte mehr als 30 Personen aus Hochschulen, Unternehmen und dem Medienbereich in den Club geführt.
Wir wissen
Soziale Medien sind der gegenwärtige Stand der digitalen Gesellschaft, Taktgeber der Öffentlichkeit, der Politik, des Privatlebens weltweit. Soziale Medien erschaffen eine neue Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen. Und weil Facebook eine kollektiv verstärkende, vernetzte Gefühlsmaschine ist, ist die entstandene Wahrnehmung der Wirklichkeit eine hyperemotionale. Das Realitätsgefühl ist die Realität des 21. Jahrhunderts. Und es wird "social" erzeugt. Soziale Gravitation bedeutet dabei: Die größte Plattform hat die größte Definitionsmacht darüber, wie ganze Bevölkerungen die Welt wahrnehmen.
Der Suchmaschinendienst Google dringt schon ziemlich tief in die digitale Privatsphäre seiner Nutzer ein. Ob Standorte, Profildaten, Browserverläufe, Suchhistorie, genutzte Geräte oder Gesprächsverläufe in Gmail – das Unternehmen aus dem kalifornischen Mountain View zeichnet alles auf und wertet aus, was es in die Hände bekommt. Die Ambitionen sind dabei klar: Personalisierte Werbung an Nutzer richten – darauf beruht der überragende Teil der Einnahmen.
Doch es geht nicht nur darum, den Nutzer so gläsern wie möglich zu machen und Geld damit zu verdienen. Fakt ist auch, dass manche Daten einfach benötigt werden, um die Funktionalität von Programmen aufrechtzuerhalten oder eben um das Nutzererlebnis in den hauseigenen Diensten zu verbessern.
Wir wissen nicht
Weder kennen wir in der Regel noch verstehen wir meist genau, wie die Technologien des „Brain Hacking“ bereits funktionieren, wie sogenannte Aufmerksamkeits-Ingenieure im Auftrag von Google und Facebook immer neue Marketingstrategien entwickeln, damit wir als Kunden/Nutzer auf Plattformen bleiben und Traffic erzeugen bzw. Geschäfte tätigen. Eine besondere Rolle kommt dabei der Emotionsforschung zu. Und deshalb sind wir - das zeigte Salim eindrücklich - mit unserem Agieren auf den Social-Media-Plattformen ständig Teil von Marketing-Testreihen der großen Unternehmen.
Google etwa versucht, ein Grundprofil von seinen Nutzer zu erstellen. Darin enthalten sind Informationen zu Alter, Geschlecht und Interessen. Das Unternehmen nutzt die Daten, um Nutzern relevante Anzeigen auszugeben. Mehr Infos
Auch Facebook sammelt Daten – und unterscheidet dabei zwischen dem Aktivitätenprotokoll, das online eingesehen werden kann, und Informationen, die heruntergeladen werden müssen. Mehr Infos
Vergleichbare Mechanismen gibt es auf den Plattformen Instagram, Snapchat und YouTube und alle weitere ‚in‘-Plattformen von Kindern und Jugendlichen.
Der ewige Kreislauf
Nicht alles ist neu, nur ist vieles heute weniger durchschaubar und viel subtiler. Bereits 1908 hat der der amerikanische Psychologe Abraham Maslow anhand seiner Bedürfnispyramide gezeigt, wo unser Bedürfnis herrührt, uns anderen mitteilen zu müssen. Das oberste Ziel heißt demnach: Selbstverwirklichung. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und die Marketingstrategie kannte auch schon im Vor-Internet-Zeitalter die Bedeutung der Emotionalisierung von Marken. Doch für das Neuromarketing stehen heute technische Möglichkeiten zur Verfügung, um abseits von Röhren und Kliniklaboren Emotionen in realen Umgebungen objektiv und direkt zu messen.
Bleibt zu hoffen, dass wir uns an die Nase fassen und uns die Anregungen wie die folgenden von Miriam Meckel und Sascha Lobo zu Herzen nehmen.
Miriam Meckel in dem Gastbeitrag „Der Spion in meinem Kopf“ für DIE ZEIT am 11. April 2018:
„Wenn es gelingt, das Gehirn ans Internet anzuschließen, wird das in der Entwicklung der Menschheit einen Schub auslösen, der den Menschen verändert. Wer Gedanken auslesen kann, hat einen nahezu unbegrenzten Zugriff auf das Individuum, auf das Innerste der Persönlichkeit. (….) Wer lieber selbst Herrscher über sein Oberstübchen bleiben möchte, sollte wissen, dass mit dem Zugang zum Gehirn die Grenze zum Ich überschritten wird, zu Individualität und Freiheit. Ansonsten ergeht es ihm womöglich so, wie es der Computerwissenschaftler und KI-Forscher Marvin Minsky einmal beschrieben hat: „Wenn wir Glück haben, behalten uns die Maschinen als Haustiere.“
Sascha Lobo in einer Spiegel-Kolumne am 10. Oktober 2018:
„Niemand kann heute verlässlich einschätzen, welche Probleme dadurch auf uns zukommen, es ist wie ein Autorennen im Nebel. Die im Moment bestimmende Generation hat ihre Kinder jahrelang gewarnt, sie sollten nicht alles glauben, was sie im Netz sehen. Und nach dem ersten, intensiven Kontakt mit sozialen Medien macht ein guter Teil von ihnen genau diesen Fehler selbst und stürzt sich kopfüber in die Social-Media-Realität. […] Deshalb bleibt die große Hoffnung, dass kommende Generationen das Netz klüger verwenden oder dass wir Älteren bereit sind, von den Jüngeren zu lernen. Millennials etwa betrachten soziale Medien nicht als Monokultur, sondern nutzen neugierig mehrere verschiedene Plattformen – wodurch die Macht und die Missbrauchbarkeit einzelner Unternehmen fast automatisch geringer wird. Immerhin.“
Hinweis:
Mehr zum Thema gibt's beim Tag der Medienkompetenz Niedersachsen am 24. Oktober 2019 auf dem Messegelände Hannover. Veranstalter ist die Landesmedienanstalt. Informationen
Bericht: Katharina Kümpel
Fotos: Torsten Hamacher