Auf den Spuren der Einwanderer

Führung

Nicht nachts, aber abends war der Presse Club Hannover am 2. Mai 2017 wieder einmal zu Gast im Museum. Eingeladen hatte die Direktorin des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover, Prof. Dr. Katja Lembke, zu einer besonderen Führung durch die jüngst eröffnete Sonderausstellung „immer bunter“. 

Auf höchst anschauliche Weise thematisiert die Ausstellung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Debatte um Geflüchtete und Asylsuchende, um Fremdenfeindlichkeit und Islamphobie, und sie bildet die Diskussion um Integration und Assimilation ab.

Nach ihren Stationen in Bonn, Berlin und Leipzig sollte die Wanderausstellung nicht mehr gezeigt werden. Doch dann kam der Ruf aus Hannover vom Niedersächsischen Landesmuseum, das sein Interesse signalisierte, „allerdings verbunden mit dem Wunsch, die Ausstellung um das aktuelle Thema Flüchtlingskrise zu ergänzen“, erklärte Museumspädagogin Regine Tuitjer in der Begrüßung zu diesem interessanten Clubabend.

Gemeinsam mit Regine Tuitjer gingen die PCH-Mitglieder auf eine besondere Entdeckungsreise. Rund 800 Objekte hatten die Veranstaltungsmacher zusammengetragen, die die Facetten und Etappen der Einwanderung nach dem Zweiten Weltkrieg abbilden. Die Einwanderung und deren Folgen sind für Deutschland nichts Neues. „Deutschland ist ein Einwanderungsland allein durch seine Lage mitten in Europa – von rechts und links kamen immer wieder Menschen aus anderen Ländern, die hier Arbeit suchten“, erklärte Regine Tuitjer gleich zu Beginn des Rundgangs. „Die erste Einwanderungsbewegung gab es bereits zu Kaisers Zeiten. Beginnend mit dem ersten Wirtschaftswunder kamen Menschen aus Polen und Italien.“

Auch viel Kurioses gab es auf diesem Rundgang zu entdecken – zum Beispiel das Motorrad, das der millionste Gastarbeiter zur Begrüßung bekam. „Es gab aber nicht nur Geschenke, es gab auch die lagermäßige Unterbringung“, berichtet Tuitjer. Das schmale Doppelstockbett mit den Werksdecken, direkt neben dem alten Zündapp-Motorrad, verschaffte jedem Gast eine Vorstellung davon, wie die Menschen ihre Ankunft in Deutschland erleben mussten.

Kurios wirkt auch das Tonband in einer Vitrine. Die Gastarbeiter in den fünfziger und sechziger Jahren hatten ihre Familien in der Heimat zurückgelassen. „Ein türkischer Gastarbeiter kaufte sich deshalb ein Tonband, besprach die Bänder und schickte sie seiner Frau, die ihrerseits ein Tonband besaß und ebenfalls Bänder besprach, um sich auf diese Weise mit ihrem Mann auszutauschen. Es gab zu dieser Zeit noch kein Handy und kein Internet“, schildert Regine Tuitjer dem staunendem Publikum die Idee hinter dem Gerät.

Die Ausstellung lädt zum Nachdenken und zum Gespräch ein, um den eigenen Blick für die Kultur des Anderen zu erweitern. Als Beispiel erzählte die Museumspädagogin von dem türkischen Arbeitnehmer, der seinem Vorgesetzten mit einem Klopfen an den eigenen Kopf signalisieren wollte: Ich habe es verstanden. Das Gegenüber interpretierte diese Geste als Beleidigung. Das sei ein typisches Beispiel dafür, wie Missverständnisse entstehen können und sich der Blickwinkel erweitere, wenn man sich auf die Kultur des Anderen einlasse, denn das Hauptthema sei das Aufeinandertreffen der Kulturen.

Die zahlreichen Exponate und Geschichten aus den verschiedensten Perspektiven zeigen, wie sich durch die eingewanderten Menschen nicht nur unser Speisezettel erweitert habe, sondern wie sich auch das Weltbild erweitern konnte, wenn man sich darauf eingelassen habe, ergänzte Regine Tietjer. Immer wieder zeigte sie auch die politischen Aspekte der facettenreichen Einwanderungsgeschichte Deutschlands auf und machte damit den Rundgang für ihre Gäste zu etwas Besonderem.

In einem weiteren Ausstellungsbereich griff sie das Thema der Kontingentarbeiter in der ehemaligen DDR auf. „Diese Menschen lebten isoliert von den DDR-Bürgern, durften keinen Kontakt zu ihnen haben. Wenn sie ihn doch hatten, dann war ihre Ausweisung die Folge. Dieser fehlende Kontakt wirke noch heute bei vielen Menschen in den neuen Bundesländern nach und erkläre ihre Berührungsängste im Umgang mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kultur“, erläuterte sie einen Aspekt der Folgen. 

Für viele sehr bedrückend wurde es in dem letzten Raum der „immer bunter“-Ausstellung. Im Zentrum steht ein Boot, das mit 80 Flüchtlingen von Libyen aus startete und im Mittelmeer aufgegriffen wurde. „Das Bistum Köln erwarb es, setzte es in zahlreichen Gottesdiensten ein, und nun fungiert es als Mahnmal“, erzählt Regine Tuitjer die Geschichte des Flüchtlingsboots. Ihm gegenüber hängen an den Wänden Zeichnungen von Flüchtlingskindern, die das Erlebte skizzieren. „Dieser Raum lädt im Besonderen zum Nachdenken ein, doch die Menschen, die es erlebt haben, verlassen ihn ganz schnell“, berichtet Regine Tuijer von ihren Erfahrungen mit den unterschiedlichsten Besuchergruppen.

Für den informativen und facettenreichen Rundgang mit einem abschließenden Get-together bedankte sich der Chef des Veranstaltungsausschusses, Torsten Hamacher, bei Dennis von Wildenradt,  Leiter der Kommunikation /Kulturvermittlung des Niedersächsischen Landesmuseums. „Diese Ausstellung müssen noch ganz viele Menschen sehen“, sagte Torsten Hamacher.
 

Bericht: Anja Reuper
Fotos: Torsten Hamacher