„Köche sind Handwerker und keine Künstler.“ Den coolen, selbstbewussten Food-Kritiker Julien Walther interessiert deshalb nur, was auf dem Teller passiert. „Ich will, dass es ums Essen geht, um die Produkte“, sagte der 41-jährige passionierte Gourmet aus Hamburg beim Clubabend am 17. Mai 2019.
107 der 127 3-Sterne-Restaurants des Guide Michelin hat er bereits besucht und ist sicher: Sterne-Küche könnte auch in Deutschland für ein breiteres Publikum erlebbar sein, wenn die Menschen eine andere Einstellung zum Essen hätten. Denn Top-Essen hat nichts mit dem Ambiente zu tun. Sterne-Küche für möglichst viele Menschen – das sei möglich, wenn z.B. auf sogenannte „Tresen-Gastronomie“ gesetzt würde, also den Verzicht auf gedeckte Tische und Service.
„Man muss zunächst verstehen, dass Sterne-Küche nichts mit gutem Service und exklusivem Ambiente zu tun hat, wenngleich in Deutschland häufig eine solche Kopplung zu beobachten ist“, sagt Walther. „Die Sterne werden vom Restaurantführer Guide Michelin allein für die Qualität des Essens vergeben. Die Ausstattung wird zwar auch bewertet, allerdings nicht mit Sternen, sondern mit gekreuzten Bestecksymbolen. Der Guide Michelin ist keine Institution, die Köche auszeichnet, sondern ein im Buchhandel erhältlicher Reiseführer für Gäste. Restaurants, die eine Küche servieren, die einen so berühren kann wie beschrieben, zählen fast immer – und zwar genau deswegen – zu den besten Restaurants.“
Mit der Aussage „Wir waren in einem guten Restaurant“ kann Walther wenig anfangen. „Sie kann alles bedeuten: Man hatte tolle Gespräche mit Freunden, das Ambiente war angenehm, man wurde gut bedient, alles hat gepasst, und das Essen war auch irgendwie.“ In seinem Blog Trois Etoiles geht es aber in erster Linie nur um eines: das Essen. „Ich beschreibe auch das Drumherum, aber die Bewertung der Speisen in meinem Punktesystem gilt allein dem, was auf dem Teller ist.“ Seine Urteile sind persönlich und hart – aber auch fair, weil er keine Nähe zu Küchenchefs oder Restaurants sucht und die Rechnungen selbst bezahlt. Food-Kritik ist das private Hobby des IT-Unternehmers.
Die Deutschen und das Essen
Beim Essen fordern die Deutschen keine Qualität ein, weder beim Restaurantbesuch noch beim Einkauf von Lebensmitteln. „Wer keine guten Produkte verlangt, erhält sie auch nicht. Nahezu niemand beurteilt Essen nach der Qualität der Produkte. Solange die Gerichte vermeintlich schön angerichtet sind und der Abend in Summe gelungen ist, macht man hier einen Haken dran. Diese Genügsamkeit ist symptomatisch in Deutschland. Darauf ruhen sich viele Gastronomen aus. Besonders in der so genannten Szenegastronomie kann man den Gästen geringe Qualitäten zu hohen Preisen verkaufen – beschweren tut sich niemand.“
Das sei außerhalb Deutschland fast überall anders. Warum das so ist, konnte im Gespräch mit den Clubmitgliedern nicht geklärt werden. Ein Ansatz war der Hinweis auf die Geschichte der Bundesrepublik nach 1945. Offenheit für Essen und gute Küche habe sich da nicht entwickeln können. „Mein Vater ist Franzose, meine Mutter Deutsche, ich erlebte recht früh eine gute Tischkultur: Salat, warmes Hauptgericht, Käse und Wein.“
Frust im Alltag?
Ja und nein, meint Walther. Man könne sich seine Nischen schaffen. Am wichtigsten sei es, so wenige Kompromisse wie möglich einzugehen und auf gute Grundprodukte zu achten. Olivenöl, Salz, Brot – solche scheinbar einfachen Dinge können in exzellenten Qualitäten große kulinarische Freuden bereiten. Gutes Essen definiert sich nicht über klassische Luxuszutaten. „Ein sehr gutes Frühstück kann für mich aus sehr gutem Joghurt, Müsli und einer Passionsfrucht bestehen“, sagte Walther, der „seine“ Geschäfte in Hamburg kennt und dafür auch längere Wege geht. Denn „die wirklich qualitative Passionsfrucht hat keine harte Schale und verströmt beim Öffnen ihren Geruch im Zimmer.“
Bericht: Katharina Kümpel
Fotos: Torsten Hamacher
Weitere Informationen:
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Text der "Ernährungsdenkwerkstatt" mit weiterführenden Links
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Artikel der Stiftung Warentest